Prävention und Hilfe – ein wichtiges Thema für das BSZ Cham
Zu Schuljahresbeginn lud das BSZ Cham verschiedene Referenten zum Thema “Häusliche und sexualisierte Gewalt” ein. Am Projekttag nahmen die Schüler der 13. Klasse der FOSBOS und der beiden Sozialklassen der 12. Klasse FOS teil.
Zunächst klärte der Pädagoge und Psychologe Dr. Sobczyk, der seit über 40 Jahren gerichtliche Gutachten zu problematischen Familien verfasst, über die Arten von Gewalt auf und erläuterte, welche Warnsignale es in Beziehungen gebe, dass gegebenenfalls Streitigkeiten in Zukunft eskalieren könnten. In einem zweiten Teil erhielten die Schüler vom Team rund um die Selbstbehauptungstrainerin Doris Klingseisen Tipps, wie man Angriffe abwehrt und wie man sich im Notfall richtig verhält. Den letzten Teil bildete ein Informationsblock, in dem Hilfsangebote für Betroffene durch die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Cham, Tanja Schmidbauer und durch Doris Klingseisen vom Weißen Ring vorgestellt wurden. Während des Tages war auch PHK a.D. Hermann Gammer vom Weißen Ring zugegen, um als Ansprechpartner für die Schüler da zu sein.
Zu Beginn des Vortrags klärte Dr. Sobczyk auf, welche Verfahrensweise bei der Erstellung von gerichtlichen Gutachten verfolgt werde. So sei v.a. die Befragung von Kindern von Familien, in denen häusliche Gewalt vorkomme, ein wichtiger Aspekt, da Kinder oft viel ehrlicher als die betroffenen Erwachsenen die Straftaten schildern. Welches Ausmaß häusliche Gewalt in Deutschland hat, wurde durch eine Zahl sehr deutlich: allein 2022 kam es zu 1.000 Kindstötungen. Er gab einen Überblick über die Täterstruktur, so seien 80 % Männer und 20 % Frauen für Übergriffe verantwortlich. Zu 30 % handle es sich bei häuslicher Gewalt um körperliche Übergriffe auf Kinder, zu 20 % komme es zu physischer Gewalt zwischen den Eltern. Psychisches Misshandeln sei aber weitaus häufiger und sei oftmals der Vorbote von späteren körperlichen Übergriffen. Somit warnte er auch die Schüler davor, eine Beziehung zu akzeptieren, in der es zu massiven Beleidigungen komme, da dies oftmals schon die Warnung sei, dass hier noch weitere Eskalationen folgen könnten. Es gebe aber noch perfidere Formen von häuslicher Gewalt, welche oftmals als solche gar nicht wahrgenommen werden. So würden Frauen zu sexuellen Praktiken gezwungen, die sie selbst als Vergewaltigung empfänden. Auch ökonomische Gewalt spiele eine Rolle, da hierbei zwar einerseits oftmals ein Arbeitsverbot dem Partner gegenüber ausgesprochen werde, andererseits aber dann z.B. der Hausfrau und Mutter kein Geld zur Bewältigung ihrer Ausgaben gegeben werde.
Wie sich immer wieder die Gewalttaten trotz vermeintlicher Entspannung der Verhältnisse wiederholen können, wurde ebenfalls im Vortrag thematisiert. So sorgt die Gewalthandlung oftmals für Entspannung beim Partner, nachdem er selbst Stresssituationen erlebt hat. Schließlich folgt eine Phase mit Erklärungsversuchen und ggf. Scham für das eigene Handeln. Die Beziehung scheint sich zu bessern und es folgt eine Honeymoon-Phase, in der scheinbar wieder alles in Ordnung ist, bis es schließlich wieder zu einem neuen Auslöser, wie finanzielle oder berufliche Probleme, komme und sich der Kreislauf wiederhole.
Wenn man selbst eine schwierige Kindheit durchlebt habe, sei laut Dr. Sobczyk das Risiko erhöht, ebenfalls in diesen Kreislauf zu verfallen. Man spricht auch vom sogenannten Sleeper-Effekt, bei dem diese gewalttätigen Verhaltensweisen oftmals erst mit Mitte 30 zum Vorschein kommen.
Welche Konsequenzen das Erleben der Opferrolle bei den Kindern hat, zeigt sich ebenfalls in den Zahlen. So findet man bei 50 Schülern bei ca. 5 bis 6 selbstverletzendes Verhalten. Mit dem Schmerz kommt die Entspannung, jedoch verlangt der Körper nach einigen Tagen eine Wiederholung.
Am Ende erarbeitete der Referent mit den Schülern noch einige wichtige Punkte, auf die sie bei ihren Beziehungen achten sollten. So sind Empathie, Respekt und Wertschätzung, Trost in schwierigen Zeiten wie auch ein beidseitiges Geben und Nehmen wichtige Punkte. Außerdem sei Kommunikation das oberste Gebot.
Im zweiten Teil des Projekttages wurde es mit den Ju-Jutsu-Trainern des ASV Cham sogar etwas sportlich für die Schüler. So ging es hierbei v.a. darum, wie man mit einfachen Bewegungen einen Angriff abwehrt, seinen Kopf schützt, aber auch die Gelegenheit zum Davonlaufen schafft. Denn neben dem Ausrufen eines lauten “Stopp”, ggf. dem direkten Ansprechen von Passanten, dass sie einem helfen sollen, sei dies das oberste Gebot: sich so schnell wie möglich aus der Situation zu entfernen. Das laute “Stopp” sollte möglichst schon erfolgen, bevor einem der Angreifer zu nahe kommt, damit man diesen gar nicht berühren müsse und somit genug Raum zwischen den Personen bleibe. Oftmals reagieren die Täter überrascht und erschrocken, wenn man nur laut genug die Stimme erhebt und somit auf sich aufmerksam macht.
Doris Klingseisen, die Leiterin des Selbstbehauptungsworkshops, erklärte auch, dass man den Angreifer ins Gesicht schlagen solle, wenn man gewürgt werde. Außerdem solle man sich in die Richtung herausdrehen, in die die geöffneten Finger des Angreifers zeigen, da hier ein Entkommen möglich ist.
Ganz am Ende zeigte die Kursleiterin noch einige Möglichkeiten auf, wie man sich mit Gegenständen aus der Handtasche, wie z.B. einem Schirm, wehren könne und gab den Tipp, dass man auf gefährlichen Strecken möglichst mit jemandem telefonieren solle.
Den Abschluss des Tages bildete die Vorstellung von vielen verschiedenen Hilfsangeboten im Landkreis. Doris Klingseisen vom Weißen Ring und Tanja Schmidbauer, die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises, teilten zahlreiche Broschüren und Hilfsnummern aus, die die Schüler kontaktieren können und im Fall der Fälle auch unbedingt sollen. Als sehr wichtig stellten sie heraus, dass man sich nicht vom Partner kontrollieren lasse, d.h. das eigene Handy sei für den Partner tabu, außerdem sei ein eigenes Bankkonto äußerst wichtig. Überdies sollte man eine Tasche mit Kopien von wichtigen Dokumenten und dem Nötigsten, was man zum Leben braucht, bei einem Freund oder einer Freundin stehen haben, damit man im Notfall zumindest wichtige Dokumente verfügbar hat.
Opfer suchten oftmals fälschlicherweise den Fehler bei sich, weil ihnen das auch vom Täter eingeredet werden würde. Außerdem haben sie auch oftmals sehr viel Angst davor, dass Bekannte den Kontakt abbrechen könnten, wenn sie um die problematische Situation wüssten. Davon sollte man sich jedoch nicht abschrecken lassen, sich aus der Situation zu lösen. Seit 2012 gibt es im Landkreis Cham ein Netzwerk gegen häusliche Gewalt, das von zahlreichen Trägern mitgestaltet werde und somit könne man zahlreiche Hilfsangebote nutzen. Im Notfall solle man aber auch immer die Polizei anrufen.
Der Frauennotruf ist von der Caritas Cham mit Hilfe von Ehrenamtlichen schon seit 2013 aktiv. Hier kann man sich als Betroffene rund um die Uhr melden (Tel. 09971/79699). Relativ neu ist die Fachberatungsstelle für Frauen, Kinder und Jugendliche, welche mit Sozialpädagoginnen besetzt ist (Tel. 09971/9948017).
Wer sich selbst zu dem Thema informieren möchte, ist ab 4. Dezember herzlich in den Erweiterungsbau des BSZ Cham eingeladen, da dort bis Weihnachten eine Ausstellung zum Thema häusliche Gewalt stattfindet.